Der Hase, der grünen Tee trinkt
Erzählungen und Gouachen von Helmut Hannig
Peter Valentin-Verlag, Ludwigsburg
175 Seiten,
ISBN 978-3-932290-30-5
Endpreis pro Buch: 18,– €
Auszug aus dem Nachwort von Anna Romas:
» Ich habe Helmut Hannigs Buch Tamoé gelesen und war dabei gleichzeitig in einem großen, stillen Raum, an dessen Wänden viele Bilder hingen – kleine, zierliche Miniaturen bis zu üppigen, farbenprächtigen, überdimensionalen Gemälden...
oder war ich in einem Konzertsaal und hörte ein Musikstück...
vielleicht war ich auch auf einer weiten Reise, von Italien über Griechenland nach Afrika...
Ich war also überall dort, wo die Sinne angeregt, die Seele geführt und verführt wird und wo der Geist das Menschsein und die ganze Schöpfung zu entschlüsseln versucht. Ich war in einem bewegenden Buch und befand mich gleichzeitig in einer nicht alltäglichen Welt. ‚Das Lied der Erde begleitet uns mit seiner Melodie von Anbeginn der Zeit durch das Leben, es verwandelt sich in Hoffnung und Gebet, und ist uns eine Hilfe, um Urvertrauen zu erlangen’, sagt Helmut Hannig. Dieser Satz kann als Grundgedanke oder Säule all dessen stehen, das sich in diesem Erzählband in den verschiedenen Variationen emporrankt. Bei allen Erzählungen fasziniert der interessante Aufbau. Der Leser wir in eine bestimmte Landschaft geführt und bekommt die Rolle eines unauffälligen Beobachters zugewiesen. Irgendwie spürt man Hannigs stillen Umgang mit der Natur, die eine der besten Quellen seiner Inspiration ist.
Da führt Helmut Hannig den Leser und gleichzeitig auch die Antwerperin Unbriche van Schade, die Protagonistin einer Erzählung, nach Apulien ’Unbriche in Apulien’...
Als Wort und Erzählbrücke ins ferne Afrika, wo die Geschichte ’Jao, der Massai’ spielt in einer exotischen Landschaft im Wadi Narongo, die für den jungen Jao zu eng wird...
Mitten in einem grandiosen Gemälde, im Focus der entfesselten Naturgewalten stehen wir dann in der Erzählung ’Die letzte Fahrt’ und bangen um das Schicksal des jungen Fischers Nikos...
Und dann die Erzählung ’Swamo auf Kiltères’, deren Ablauf auf der paradiesischen Pazifikinsel Tamoé beginnt und auf Kiltéres mit einer großen Erkenntnis, einer Offenbarung endet.
Am besten kommt das wohl im Kernstück des Buches, in der Erzählung ’Sanuda, Wächter des Wassers’ zum Ausdruck. Was anfangs wie eine poetische, gut recherchierte Geschichte- und Erdkundelektion
über Äthiopien anmutet, wird zu einer gewaltigen Völker- und Menschheitsgeschichte. Ein Epos, in dem Sanuda, der junge Hüter des Quellwassers des Nils, alais Yasine, der Hüter des Alten
Testaments, einen riesigen Bogen über Zivilisationen und Religionen spannen. Bei Yasine ‚zogen sich klare Erkenntnisse seines früheren Lebens ins Bewusstsein’ und für uns Leser ziehen sich bei
der Lektüre dieser Erzählung Wege nach innen und gleichzeitg nach außen, heraus aus der eigenen Seelenenge in die Weite halb vergessener Menschheits-Landschaften.(...)«
Inhaltsverzeichnis
Dem Buch liegt ein ‚Glossar’ als Lesezeichen bei.
Swamo auf Kiltères
» Wenn Tajo Swamo suchte, weder im Dorfe noch auf den nahen Feldern die sich zu den Bergen hin erstreckten zu finden war, rannte sie ans Ufer, wo die Boote auf den Strand gezogen lagen. Dort wandte sie sich nach rechts, um an der Küste entlang zu laufen. Hinter einem Palmenhain, der mit viel Buschwerk bewachsen war, ragte eine Felsformation empor und fand unterhalb in einer kleinen verschwiegenen Bucht, Swamo zwischen großen Steinen sitzen, aufs Meer hinausblickend. Dort saßen sie oft, manchmal stundenlang, schweigend, hörten das gurgelnde, glucksende und saugende Geräusch des Wassers, wenn es in Wellen durch die engen Zwischenräume der Kiesel vorwärts strömte, um dann wieder dem Meer zuzufließen.
Hier lauschten beide dem nie enden wollenden Monolog aus dunklen Urgründen, das aus der Ferne, der Weite des Meeres mit den Wellen herankam, aus der Tiefe des Meeres aufstieg, um zu ihnen zu sprechen. Jeder trug für sich ein Wunschbild im Herzen, in den Gedanken einen Weg zum eigenen Glück, die Vorstellung einer Freude ohne Ende, zu finden.
Swamo fühlte ganz deutlich, das Tajo ihn suchte, seine Nähe suchte, weil auch sie fühlte, Swamo habe ihr Wichtiges zu sagen. Sie waren beide in ihrer geschwisterlichen Liebe, die sie nie zu verbergen brauchten, zugetan, ihrer Gefühle sicher, und ahnten bereits Dinge, ehe sie noch recht konkret wurden.Und heute blickte Swamo sehr lange und ein wenig traurig in ihre dunklen Augen. Sie hielt seinen Blick fest, ehe zögerlich sein Herz zu sprechen begann. In diesem Moment wusste sie alles, alles was er ihr zu sagen hatte und doch nicht sagen wollte, ihren Schmerz, der bei seinen Worten entstehen würde, durch sein Schweigen zu verhindern.
Auch in jenem Moment wusste Swamo, dass Tajo es wusste und der Schmerz in ihren Augen flüssig hervortrat, der ihn ebenso schmerzte, so schwieg er.
Beide betrachteten das unendliche Blau des Meeres, das alles einhüllte und umfing, sich hinter dem Horizont der Horizonte mit dem Blau des Himmels vermählte um Eins zu sein, auf einer unendlich großen Fläche lebend, das Ogungi Kataminga, der große Geist des Lichtes, der Lebendiges geschaffen hatte, hinaus zu träumen.
Swamo suchte die Hand Tajos, hielt sie lange in der seinen, ohne festen Griff, nur Wärme und die gewohnte Nähe nahm er in sich auf. Diese vertraute Geste enthielt alle Regungen ihres Volkes, das mit dem Herzen spricht und versteht, die die Sprache des Blutes ist, in dem Verständnis und Zugehörigkeit tief in ihren Seelen wurzelt.
Swamo erzählte ihr von Sojo. Er hatte sie im Makutu Tamoè gesehen und in ihre Augen geblickt, und die Augen Tajos gesehen und verstanden hatte, dass sie ja sagte und einverstanden war, und er fühlte ganz bei sich, dass auch er sie verstanden hatte und einverstanden war. Ihre Hände waren auch die Hände von Tajo, mandelfarben die Haut und ihr Mund, ein reifer Mangomund, der ihn suchte.
Er wird in ihr Makutu im Norden der Insel gehen, Tajo im Herzen und Tajo bei sich haben, weil Sojo ganz Tajo sei. Und Tajo nickte zustimmend und freute sich, dass Swamo nun Sojo hatte und Tajo immer bei ihm sein würde, weil er Sojo hatte und Sojo ganz Tajo war. (...)«